Michael G. Fritz

Tante Laura


Michael G. Fritz
Tante Laura
Roman
191 S., geb. mit SchU
Mitteldeutscher Verlag, Halle (Saale) 2008
ISBN 978-3-89812-563-5
Preis: 16,00 €

Cover Tante Laura

Leseprobe


Das Zigarillo ließ ich ausgehen, behielt es aber wippend im Mundwinkel, kalt rauchend also, machte ich mich über den Fang her, der begann, eine Speise zu werden und sich einen Platz auf den Tellern zu suchen. Grün schillernde Fliegen besetzten die Fische, unentwegt ihre Mäuler gegen Schuppen, Augen, Kiemen stoßend. Ich schabte hinter der Hecke auf einem eigens dafür eingerichteten Tisch, auf daß die Schuppen spritzten wie in einem Schneegestöber. Bald war ich selbst von oben bis unten von ihnen bedeckt. Während ich nach einem Messer griff und die Köpfe abschnitt, wobei die Fische das Maul aufrissen und noch einen letzten Laut abzugeben schienen, ein dumpfes Röcheln beim Durchtrennen des Rückenmarks, sah ich auf dem Nachbargrundstück an Wäscheleinen aufgehängte Laken sich im leichten Wind bewegen. Seit wann hingen dort Laken. Je stärker sie sich bauschten, desto mehr glaubte ich, auf einer Liege dahinter jemanden zu sehen, war's eine Frau, die nichts weiter tat, außer sich mit Passion der Sonne hinzugeben und Musik zu hören, Musik, von der nicht viel an mich heranwehte, die paar vereinzelten Töne aber reichten, um zu erkennen, daß es Rock ‚n' Roll war. … Ich schickte wieder einen Blick hinüber, die Laken flatterten und legten, während das Weiß kurz im Aufwind verharrte, ein aufgestelltes Bein frei, das sich gegen das andere lehnte. Später bekam ich in den Momenten des auffrischenden Windes Arme und Schultern, eine Hüfte zu sehen: Ganz sicher, dort räkelte sich, eingehüllt von Musik, eine Frau. War sie nackt?

Der Weg vom Hafen in den Ort war ein steil ansteigender, mehrfach gewundener Sandpfad, den der Regen ausgespült hatte. Das Labyrinth der Bootsschuppen im Rücken, fuhren wir mit dem Fahrrad hinter dem Haus Helgoland hoch, in dem die Gäste gerade an den Frühstückstischen saßen und beim Kaffeetrinken nebenher auf den Bodden schauten, auf die vertäuten Jachten und Zeesen. Ich spürte den Rhythmus der Wellen noch in mir, während ich kräftig in die Pedale trat, um dem Alten folgen zu können, vor meinen Augen immer seinen wulstigen Nacken, der zwischen Schiffermütze und Cordjacke hervorquoll. Wir rollten an Gärten mit reetgedeckten Häusern vorbei, hinter den Zäunen stellten uns Hunde nach, deren Gebell mir bis ins Mark ging. Meinten sie mich, weil ich wieder verloren, weniger gefangen hatte als Jeske? Ich hatte den Blinker geworfen und gekurbelt wie der Alte, hatte ihn argwöhnisch belauert, besprach er seinen Blinker, bespuckte er ihn, bevor er auswarf? Ich hatte jeden seiner Fische mitgezählt und meinen einzigen mit ihnen verglichen. Er war nicht schöner und auch nicht größer als seine, und es war eben nur einer. Die Hunde wollten gar nicht mehr aufhören zu bellen.
Oben auf der Straße schlug mir plötzlich die Hitze des Sommers entgegen, ich wischte meine Mütze vom Kopf und öffnete den Verschluß der Jacke. Auf seinem Grundstück leerte Jeske den Sack mit den Fischen auf die Gehwegplatten – wahrscheinlich schüttete er genauso Kartoffeln aus -, Zander und Barsche, die mit gebrochenem Blick sich leicht gekrümmt über den Stein verstreuten. Meine Finger zeichneten Schuppen nach, betasteten Augen und Flossen, indessen ich die Tiere in einer Reihe anordnete. Nur wir zwei, Jeske und ich, konnten noch auseinan-derhalten, wer welchen Fisch gefangen hatte, natürlich hätten wir auch zu sagen gewußt, wann und präzise an welcher Stelle des Boddens. Doch wir schwiegen darüber, was mich versöhnlich stimmte. Ich kramte die Blechschachtel aus meiner Jacke, entnahm ein Zigarillo, das ich zunächst unter der Nase entlangführte, um es darauf anzustecken – ein Ritual, das für mich zum Rauchen gehörte. Jeske hatte Schnaps geholt, wir sanken in die Korbsessel auf der Terrasse und prosteten uns zu, die Fische jedoch nicht aus den Augen lassend. Konnte uns jemand unsere Beute streitig machen?
Wat is, soll's morgen wedder losgehen? fragte er, schob die Mütze in den Nacken, daß die Sonne in sein faltiges Gesicht schien und die grauen Bartstoppeln erst jetzt, wie Schauspieler vom Scheinwerfer angestrahlt, auffielen. Jeske kippte das Glas hinter, das in den Tiefen seines Rachens zu verschwinden drohte. Es erstaunte mich jedesmal, daß er es wieder glücklich zutage förderte.
Warum nicht, sagte ich und nippte an meinem Glas, nippte nochmals, dann schickte ich den Rest hinterher. Er goß uns nach. Morgen, sagte er, morgen wird Westwind sein, Westwind fischt gut.
Als ob es bei ihm vom Wind abhängt, der Alte fängt doch jedesmal, dachte ich und zog an meinem Zigarillo. Wir kippten ein paar Gläser, und wie immer, wenn man bereits vormittags etwas trinkt, begegnet einem der angerissene Tag anders als sonst, träger vielleicht, oder gelassener. Dieser verlangte nichts von mir und zeigte sich für jemanden, der Urlaub macht, von seiner angenehmen Seite, er sorgte dafür, daß die Wolken fernblieben und die Sonne vor einem blinkenden blauen Himmel mit aller Kraft ihrem Werk nachgehen konnte.
Ich wecke Sie morgen, klopfe wieder ans Fenster, ja? Und Sie nehmen sich von den Fischen, soviel Sie wollen, fügte er hinzu, ich hab die jederzeit.
Das Zigarillo ließ ich ausgehen, behielt es aber wippend im Mundwinkel, kalt rauchend also, machte ich mich über den Fang her, der begann, eine Speise zu werden und sich einen Platz auf den Tellern zu suchen. Grün schillernde Fliegen besetzten die Fische, unentwegt ihre Mäuler gegen Schuppen, Augen, Kiemen stoßend. Ich schabte hinter der Hecke auf einem eigens dafür eingerichteten Tisch, auf daß die Schuppen spritzten wie in einem Schneegestöber. Bald war ich selbst von oben bis unten von ihnen bedeckt. Während ich nach einem Messer griff und die Köpfe abschnitt, wobei die Fische das Maul aufrissen und noch einen letzten Laut abzugeben schienen, ein dumpfes Röcheln beim Durchtrennen des Rückenmarks, sah ich auf dem Nachbargrundstück an Wäscheleinen aufgehängte Laken sich im leichten Wind bewegen. Seit wann hingen dort Laken? Je stärker sie sich bauschten, desto mehr glaubte ich, auf einer Liege dahinter jemanden zu sehen, war's eine Frau, die nichts weiter tat, außer sich mit Passion der Sonne hinzugeben und Musik zu hören, Musik, von der nicht viel an mich heranwehte, die paar vereinzelten Töne aber reichten, um zu erkennen, daß es Rock'n'Roll war.
Seit ungefähr einem Dutzend Jahren flohen Katja und ich Berlin im Hochsommer, wir besuchten diesen Ort, wohnten stets bei Jeske, und nie hatte ich nebenan jemanden liegen sehen. Der Fischer vermietete gar nicht, auf der Wiese flickte er sonst Netze, unter einem grob zusammengezimmerten Dach war oft ein Holzkahn aufgebockt gewesen, der ausgebessert und geteert wurde. Aber eine in der Sonne badende Frau, noch dazu hinter Laken, wozu diese Laken? Ich polkte die Eingeweide heraus und stieß bei einem Zander im Magensack auf eine winzige Plötze. Der Fisch erwies sich als vollkommen unverdaut, nichts fehlte, jedes Detail schimmerte durch das Gewebe, das ihr tödliches Gefängnis wurde. Vor wenigen Stunden war sie dem Zander auf verhängnisvolle Weise begegnet, kurz danach er uns, Jeske und mir.
Ich schickte wieder einen Blick hinüber, die Laken flatterten und legten, während das Weiß kurz im Aufwind verharrte, ein aufgestelltes Bein frei, das sich gegen das andere lehnte. Später bekam ich in den Momenten des auffrischenden Windes Arme und Schultern, eine Hüfte zu sehen: Ganz sicher, dort räkelte sich, eingehüllt von Musik, eine Frau. War sie nackt?

Rezensionen


Ein faszinierendes Buch; es gibt viel zu loben. Mit anstrengungsloser Genauigkeit gestaltet Fritz die Verankerung der Figuren und Ereignisse in der Zeitgeschichte vor und nach 1989.

Sächsische Zeitung


Michael G. Fritz ist auch ein amüsanter Erzähler.

Neues Deutschland


Mit seinem subtilen Horror bietet dieser Roman von Michael G. Fritz eines jener hintersinnigen Lesevergnügen, für die Brechts Ratschlag gilt: "Lies langsam, denn allzu schnell wird der ungelesene Teil dir dünn! t

Berliner Morgenpost


Spätestens seit seinem 2007 erschienenen Roman "Die Rivalen" wird Michael G. Fritz als Geheimtipp unter deutschen Erzählern gehandelt. Sein Roman "Tante Laura" gibt Anlaß zu der Vermutung, dass er nicht im Geheimen bleiben wird… Die Geschichte wartet streckenweise mit atemraubenden Handlungsbögen auf, die in ihrer lakonischen Knappheit und oft bestürzenden Genauigkeit an Georges Perecs beste Geschichten erinnern. In Verbindung mit großartig eingefügten Tempowechseln und dem aus der Distanz mitschwingenden Humor offenbart dieses Erzählen beeindruckende kompositorische Sicherheit. "Tante Laura" ist eines jener Bücher, bei denen man zwischendurch vergisst, dass man liest.

Frankfurter Allgemeine Zeitungt


Ein spannender, sprachlich exzellenter, ein großartiger Roman. So wunderbar und raffinierrt zweideutig schillernd wie dieser schöne Kernsatz, den man darin findet: "Die Wege der Frauen sind für Männer rätselhaft wie sie selbst.

Dresdner Neueste Nachrichten


Michael G. Fritz' neuer Roman ist ein gelungenes literarisches Spiel mit Dominanz- und Verdrängungsprozessen, gespiegelt in familiären Rollenverhältnissen. Die Hintergründe erfährt der Leser dann im zweiten Teil des Buches, und weil hier einer sprachlich alles im Griff hat – Fritz' Formulierungen sind präzise, jedes Sprachbild stimmt, alle seine Bilder sind gut überlegt und dennoch ungezwungen, die Dialoge kommen jknapp, aber pointiert – sackt auch im spannungsärmeren, erklärenden zweiten Teil des Buches die Dichte des Erzählten nicht ab.

Kulturradio rbb