Michael G. Fritz

Eros und Partnerschaft


Renate Preuß legt mit ihrem neuen Erzählband „Nächtliches Zwiegespräch“ Liebesgeschichten vor. Solange Menschen leben, gibt es auch Geschichten über die Liebe, die möglicherweise desto intensiver empfunden wird, je größer der Erfahrungsschatz der Protagonisten ist. Renate Preuß erzählt jedenfalls mit großer Eindringlichkeit von den Dingen zwischen Mann und Frau. Einmal steht die üppige, rothaarige Mathilde im Zentrum, die halbwüchsige Männer in die Mysterien der körperlichen Liebe einweiht, ein andermal der ebenso charmante wie attraktive Restaurantbesitzer Vangelis, ein von den Touristinnen auf Lesbos begehrter Mann, der später eine vierzig Jahre jüngere Frau heiratet. Sie feiert mit Freunden, während er sich mit dem gemeinsamen Kind schlafen legt. In „Lieb und schön“ trifft die Ich-Erzählerin nach vielen Jahren ihren Briefpartner wieder, mit dem sie eine tiefe Zuneigung verbindet, der sie nun jedoch, an Demenz erkrankt, kaum wiedererkennt. In der titelgebenden, umfangreichsten Geschichte des Bandes berichtet die betagte Marta von ihrem beharrlichen Bemühen, ihre Ehe zu retten, als sie mit dem dritten Kind schwanger und ihr Mann in eine andere Frau verliebt war, die nun nach vielen Jahren beerdigt wird. Dieser Text ist ein beeindruckendes Bekenntnis zur Ehe, die ein Leben lang währt. Der Erzählrahmen wird weit geöffnet, nebenher auf selbstverständliche Weise Zeitgeschichte eingefangen. Es geht bei der Autorin immer auch um das Vergehen der Leidenschaft, um das, was daneben noch existiert und vielleicht den eigentlichen Reichtum der Partnerschaft ausmacht.
Renate Preuß stammt aus Riesa, hat immer dort gelebt, immer in demselben Haus, in dem sie auch geboren wurde. Sie ist im wahrsten Sinn des Wortes eine bodenständige Autorin. Ihr Werk, das uns von schlichter Schönheit begegnet, stellt eine fortdauernde Feier der beschaulichen Gegend zwischen Leipzig und Oschatz, Meißen und Nossen dar, eines Landstrichs, der andauernd Stoff birgt, weil sich im Kleinen das Große spiegelt, die Tragödien der Welt finden überall statt, auch in der scheinbaren Idylle.
Ihr Erstling heißt „Tagträume und Nachtgedanken. Aus dem Tagebuch einer Patientenbibliothekarin“. Es handelt sich um ein Buch über die Zeit des Umbruchs 1990, das ungeschönt erzählt und unverdrossen von Zuversicht lebt. Die folgenden zahlreichen Bücher sind Erzählungs- und Erinnerungsbände, von denen „Die Geschichte vom Mädchen ohne Hände“ genannt sein soll. Neben Kinderbüchern umfasst ein Band Weihnachtserzählungen, die ihre Wurzeln im sächsischen Kulturgut haben, zu dem Koch- und Backkunst gehören. Ihrem Werk, das dem scheinbar Nebensächlichen Wert und Gewicht gibt, geht der Gedanke an Flüchtigkeit ab, es thematisiert mit einer ganz eigenen Poesie das Bewahrenswerte, dessen nicht unwesentlicher Teil die Liebe ist.


„Nächtliches Zwiegespräch und andere Liebesgeschichten“
Dresdner Verlag Holger Oertel
12 €



Michael G. Fritz




Glückssucher und Glücksritter
Andreas Montag legt mit seiner Erzählung ein beeindruckendes Buch vor.


Es gibt diese eine vibrierende Nacht, die nicht mit Schlaf gefüllt wird, in der sich stattdessen wie im Traum das weitere Leben entscheidet. Andreas Montag erzählt lakonisch, in gleichem Maße eindringlich davon. Die beiden jungen Leute Paul und Linda wohnen in Berlin, im prosperierenden Bezirk Prenzlauer Berg, zwischen Storkower, Oderberger und Kastanienallee, wo die Mieten rasant steigen. Paul singt zur Gitarre eigene Lieder, arbeitet als Hausmeister in dem Gebäude, das Herrn Körner gehört wie viele andere in der Umgebung auch, einem Miethai, von allen Mogul genannt. Er wohnt in der obersten Etage, die eine Tür versperrt, der Fahrstuhl zu ihm kann nur mit einem Code bedient werden. Linda, die ihr Studium aufgegeben hat, in einem Café arbeitet, ist an diesem Sonntagabend zu ihm eingeladen. Sie rätselt beklommen, weshalb und kann sich keinen Reim darauf machen. „Wir müssen mal über ihre Zukunft reden, Linda, hatte Körner gesagt.“ Paul wird ebenfalls unterwegs sein, er hat einen Auftritt in „Robins Garden“ in Weißensee, wo die Kiezbewohner unter sich sind, der unsanierte Hinterhof steht noch in keinem Reiseführer. Pauls Eltern, zu Besuch aus Thüringen, passen auf ihren Enkel auf, Paul und Linda können unbeschwert ausgehen, nur gehen beide jeweils ihrer eigenen Wege. Sie haben jeder dem anderen seine Freiheit zugebilligt; nur wenn es ernst wird, dann sollte Bescheid gesagt werden. Bisher aber hat keiner von seiner Freiheit Gebrauch gemacht. Als Körner seinen Swimmingpool auf dem Dach, dann sich selbst darin vorführt, Linda sich ihm selbstverständlich anschließt, spürt sie plötzlich, dass sie für ihn bereit ist: Macht entfaltet allemal ihre Wirkung. Aber der Mogul hat anderes, Geschäftliches mit ihr im Sinn. Paul spielt Gitarre unter demselben Himmel von Berlin, auch er bekommt ein Angebot, von einem Manager. Ein Professor hält einem imaginären Publikum eine Vorlesung, eine geheimnisvolle Grünäugige lässt nicht von Paul ab. Allmählich wird die Wirklichkeit durch Phantasmagorien ersetzt, nichts ist gesichert, nichts greifbar. Erst am Morgen finden Paul und Linda zueinander. Beide misstrauen vor allem sich selbst. Ist es Verrat, wenn Linda für den Mogul arbeitet? Wird sich Paul untreu, sobald sich Erfolg einstellt? Können sie nach dieser Nacht überhaupt glücklich werden? Und was ist das eigentlich: dieser flüchtige Zustand namens Glück? Montag geht den Fragen nach, die den Leser während der Lektüre und darüber hinaus unmittelbar beschäftigen. Seine unverstellte Sprache, zu der kurze, wie aus Stein gemeißelte Sätze gehören, entwickelt eine ganz eigene Poesie, durch die ihm atmosphärisch dichte Schilderungen gelingen. Andreas Montag, Bibliothekar, Packer, Krankenhausseelsorger, studierte am Literaturinstitut in Leipzig, lebt in Halle und Berlin. Mit seinem Debüt, dem Roman „Karl der Große oder Die Suche nach Julie“ und der Teilnahme an der Lesung zum Ingeborg-Bachmann-Preis 1990 wurde er weithin bekannt. Zuletzt erschienen der Roman „Mannestreu“ sowie das Künstlerbuch „Paradies“ mit eigenen Gedichten und Grafiken von Hélène Bautista (Paris).
Michael G. Fritz



„Glückliche Menschen“
Erzählung
Andreas Montag
Quintus Verlag, Berlin 2022
20,00 €



Dresdner Neueste Nachrichten, 29.12.2022